Es ist einfach, eine Ausbildungsstelle zu finden, wenn man erstmal einen Fuß in der Branche hatte. Du musst den neuen Chef nicht mehr davon überzeugen, dass du diesen Beruf wirklich machen willst und allgemein freuen sich Ausbilder, nicht von null an beginnen zu können.
Das hat mir ein erfahrener Freund gesagt, der selbst schon seit Jahren arbeitet und eine Familie gegründet hat.
Wir sprachen gerade darüber, ob man einen Ausbildungsvertrag unterschreiben sollte von einem Betrieb, der nicht gerade perfekt für einen scheint – aber man möchte die Ausbildung rechtzeitig beginnen, von Anfang an alles mitnehmen und klar – Lehrjahre sind keine Herrenjahre -, man möchte sich auch auf Unangenehmes einstellen und charakterlich wachsen.
So war es auch bei mir. Der Ausbildungsvertrag war unterschrieben und die Ausbildung begonnen.
Ich habe 3 Monate lang als „Putzsklave“ gearbeitet und durfte wie ein Zombie Buchführungsunterlagen eintippen. Anschließend musste ich – und ich fühlte mich wie befördert – Zusammenfassungen und Checklisten schreiben, die den Betriebsalltag für alle Mitarbeiter vereinfachen und Abläufe vereinheitlichen.
Der Teil hat mir Spaß gemacht.
Aber nachdem ich das Urinal putzen und mit selbst mitgebrachten Arbeitshandschuhen und einem Cutter im Keller Kartons über mehrere Stunden zerkleinert habe, dachte ich mir, dass da etwas nicht so ist, wie es sein sollte.
Ich wollte von Anfang an die Ausbildung verkürzen. Denn ich habe Abitur und beschäftige mich auch in meiner Freizeit über die Hausaufgaben der Berufsschule hinaus mit den Inhalten von Rechnungswesen und Steuerlehre, fasse sie zusammen und stöbere immer wieder in weiteren Lehrinhalten.
„Eine Ausbildungsverkürzung kommt nicht in Frage, weil der Beruf so lernintensiv ist, dass man das gar nicht schaffen kann.“
Was ist am Kloputzen, Kelleraufräumen, Reparaturarbeiten machen und dem Verbot, ständig nervige Nachfragen zu stellen, wenn man etwas in der Buchführung nicht versteht, eigentlich so lernintensiv, frage ich mich?
Und was ist an Erklärungen im Englischunterricht, der 2 der wöchentlichen Schulstunden einnimmt, so lernintensiv, wenn wir im Vokabeltest
aufschreiben?
Und warum gibt es eine eigene Schulklasse an meiner Schule für die Leute, die ihre Ausbildung innerhalb von 2,5 Jahren absolvieren?
Warum die und nicht ich?
Warum genau so?
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Es wurde schnell klar:
Meine Ausbildung konnte in diesem Betrieb nicht fortgeführt werden. Doch anstelle dass ich mir Mut nahm und kündigte, bevor ich eine neue Ausbildungsstelle hatte, habe ich mich nebenbei beworben und weiter da gearbeitet, wo ich unglücklich gemacht wurde.
Dann kamen Ungerechtigkeiten durch eine arrogante neue Azubine aus dem ersten Lehrjahr dazu. Sie kam später als ich, musste sich aber nicht am Ausräumen der Spülmaschine, dem Putzen der Küche, dem fast täglichen Einkauf oder Ähnlichem beteiligen.
Einmal wurde ich angeschrien, weil ich eine Frage gestellt habe.
Der „böse Chef“ wollte in einer versammelten Besprechung wissen, warum die Azubi-Aufgaben nicht funktionieren. Ich wusste davon nichts, war erst 3 Wochen im Betrieb und fragte, welche Aufgaben denn genau nicht liefen. Denn meines Erachtens habe ich alle Aufgaben gewissenhaft aufgeführt. Daraufhin wurde der Chef sehr böse und hat vor versammelter Mannschaft gesagt, dass es peinlich wäre, dass ich dies fragte. Meine Arbeitshaltung wäre idiotisch – dabei hatte ich doch meine Aufgaben alle gemacht?
Eine versöhnliche, freundliche Mitarbeiterin (die mir auch empfohlen hat, mich weiter zu bewerben) hat mir anschließend empfohlen, möglichst wenig Kontakt zum bösen Chef zu haben, vor allem nicht, wenn er schlechte Laune hat. Und dass ich keine Fragen stellen sollte. Wir Azubis sollten zu ihr kommen, damit der Chef nicht mitkriegt, dass wir Azubis sind.
Von Natur aus machen Azubis Fehler und stellen Fragen und lernen und wachsen. Das war hier nicht gestattet.
Angeschrien wurde ich mehrmals.
Einmal wegen des Mülls, den ich eine Viertelstunde zu lange habe liegen lassen, um kurz vorher die Spülmaschine auszuräumen – denn ich dachte, Kaffeetassenversorgung wäre dringender im Arbeitsalltag als der sofort weggeräumte Müll.
Einmal, weil eine Kollegin ein verschimmeltes Brot im Gefrierschrank vergessen hat. Wie auch immer das passieren konnte. Aber ich war Schuld. Ich musste Kühlschränke und den Gefrierschrank stets kontrollieren.
Der Azubi aus dem ersten Lehrjahr kontrolliert die Essenshygiene des gesamten Betriebs.
Und so arbeitete ich fast drei Monate in diesem Betrieb – natürlich immer bis 17 Uhr, weil trotz Gleitzeit immer ein Azubi und die Sklavin gleichzeitig bis zum Schluss zum Kücheputzen bleiben müssen.
Supi!
Diesen Bericht haben wir von einer Auszubildenden erhalten, die im Sommer 2015 ihre Ausbildung begonnen hat (und inzwischen in einer neuen Kanzlei untergekommen ist).
Hast du auch Probleme in der Ausbildung? Dann empfehle ich dir diesen Artikel: Probleme im Ausbildungsbetrieb – Was kann ich tun?
Alternativ kannst du auch gerne diesen Artikel kommentieren oder in unser Forum kommen. Vielleicht finden wir gemeinsam eine Lösung.
2 Comments
Wirklich traurig, das zu lesen.
Ich glaube, diesen Bericht hättet ihr Frau Schmidt-Kesseler vorlegen sollen.
„Und dass ich keine Fragen stellen sollte. Wir Azubis sollten zu ihr kommen, damit der Chef nicht mitkriegt, dass wir Azubis sind.
Von Natur aus machen Azubis Fehler und stellen Fragen und lernen und wachsen. Das war hier nicht gestattet.“
Genau das hat Frau Schmidt-Kesseler allerdings empfohlen, vom ersten Tag an zu lernen, aufzupassen, Fragen zu stellen.
Also ne, ganz ehrlich, dem StB gehört die StB-Lizenz entzogen. Das ist nichts persönlich, wirklich. Aber sowas gehört sanktioniert. Aber von wen? Von der Kammer?
Ich spucke doch nicht in den Teller, aus dem ich esse…
[…] Probleme in der Ausbildung – Ausbildung ist der Worst Case? Erlebnisbericht einer Azubine über eine Ausbildung zum Weglaufen. […]